Bhakti Yoga: Und wenn die große, fette Liebe erwacht… dann ist es soweit

Bhakti Yoga ist der Yoga des Gefühls. Das Sanskritwort Bhakti wird oft mit „Hingabe oder Liebe“ übersetzt, es bedeutet allerdings wörtlich „teilen“. Warum? Weil es eine Weg ist, seine Verbindung mit dem Universum herzustellen.

Eine moderne zeitgemäße Praxis von Bhakti

Für einen Bhakta, einen Liebenden, ist das Ziel des Lebens die Steigerung seines Gefühlslebens, die Steigerung seiner Liebe und seiner Hingabe. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der indischen Bhakti-Tradition die traditionellen vier Lebensziele (Dharma: Das Finden seiner Lebensaufgabe, Artha: Wohlstand, Kama: Sinnesgenuss und Moksha: Befreiung) um ein fünftes ergänzt worden ist: um Prema, die Liebe. Dieses wird als das höchste Lebensziel angesehen und über die vier traditionellen gestellt.  Der Bhakti-Yogi erlebt seine Verbundenheit, seine Quelle über das Gefühl, über die Steigerung seiner Liebe. Die Liebe ist ihm das Maß aller Dinge. Die Worte des Paulus über die Liebe aus dem Brief an die Römer entstammen dem Geist der Bhakti ebenso wie die Bergpredigt des Jesus. Die mystische Strömung des jüdischen Chassidismus ist ebenso vom Geist der Bhakti durchdrungen wie die Liebeslieder des islamischen Sufi-Mystiker Rumi. Selbst im tibetischen Buddhismus finden sich nachweislich Lehren, die von der indischen Bhakti-Tradition stark gefärbt und beeinflusst sind.

Das wichtigste in all diesen Wegen ist die Erkenntnis und Steigerung der eigenen Liebe. Ich möchte an dieser Stelle eine Übung vorstellen, die David Deida in seinem Buch „Instant Erleuchtung“ empfiehlt: Stelle dir die Person vor, die du am meisten auf der Welt liebst. Versuche nun diese Liebe auf andere Personen, zunächst auf alle deine Freunde, dann auf all deine Verwandten, dann auf alle Menschen, die du kennst und letztlich auf alle Menschen dieser Welt auszudehnen. Versuche dann, diese Liebe auch auf Tiere, Pflanzen und Gegenstände auszudehnen. Mach dir bewusst, dass du eine Kraft in dir trägst, die dies vermag und die vielleicht zu diesem Zweck in dir ist. Du trägst die Liebe in dir, um sie zu finden, sie auszuweiten und in die Welt zu tragen. Sei dir bewusst, dass du in deinem tiefen Innern Liebe bist und dass jeder Mangel daran aus einem Zustand der Trennung heraus zu erklären ist. Du kannst dich aber aus eigener Kraft jederzeit mit deiner inneren Liebe verbinden und in den Zustand des Yoga, der Verbundenheit, eintreten.

Die traditionelle Praxis von Bhakti-Yoga

Voraussetzung für die Bhakti-Praxis ist im Normalfall auf ein persönlich gedachtes Gottesbild, eine konkreten Gottesvorstellung, weshalb wohl der Weg des Bhakti Yoga der Yogaweg ist, den man am ehesten als religiös bezeichnen muss. Bhakti gilt als der leichteste Yogapfad. Er verlangt an sich nichts als Gottvertrauen und den Wunsch in seiner Liebesfähigkeit zu wachsen. Viele Menschen fühlen sich in der Welt des Kampfes um Macht, Leistung, Geld und Ruhm, verbunden mit dem Wunsch nach Anerkennung und sexueller Leidenschaft fremd. Sie spüren eine Sehnsucht nach einer Welt, die heil und harmonisch ist. Eine Welt, in der das Ego nicht existiert und in der man so lieben kann, wie das Herz es will, ohne Furcht haben zu müssen, verletzt zu werden. Und eine Welt, in der man so geliebt wird, wie man ist, ohne sich verstellen und eine Show machen zu müssen. Eine Welt, in der man vor Sehnsucht schreien und weinen darf und nicht für verrückt erklärt wird. Eine Welt, in der man sich nicht schämen muss, wenn man einfach nur gut und wahrhaftig sein will. Eine Welt, in der Güte und Wahrhaftigkeit wirklich und dauerhaft Sinn ergeben. Solche Menschen müssen sich oft die abfällige Bemerkung gefallen lassen, sie seien zu gut für diese Welt, sie seien nicht stark genug für den Kampf der Selbstbehauptung. Darauf könnten sie innerlich sagen: Ja, für diese Welt bin ich zu gut. Aber für die Welt, die du nicht kennst, bin ich sehr gut geeignet. Für einen Bhakta ist die Welt der Sinneserscheinungen Maya, Illusion. Sie ist unvollkommen und voller Schmerz und Leid. Die Welt der Wahrheit, der Güte und der Liebe existiert für den Bhakta im Jenseits, in sie denkt und hofft er nach dem Tode bzw. sobald er reich dazu ist, einzugehen. Jesus und seine Jünger waren mit Sicherheit Bhaktas (wenngleich es unter seinen Jüngern einige gab, die man eher als Jnanis bezeichnen müsste, doch dazu später mehr). Seine Hauptbotschaft, wie sie die Evangelien vermitteln, ist die Lehre von der Gottes- und Nächstenliebe, einer Ablehnung der Welt und der vollständigen Ausrichtung auf das Reich.

Das Mittel eines Bhaktas, um dieses zu erreichen, ist eine Mentalität des Dienens. Viele Angehörige der indischen Bhakti-Traditionen tragen am Ende ihres Initiationsnamens den Namen Dasa, was Diener bedeutet. Dienst für Gott und seine Diener ist für den Bhakta der Sinn und die Aufgabe seines Lebens. In der verheißenen idealen Welt besteht das Leben aus nichts denn als freiwilligem, liebevollem Dienst ohne wenn und aber, ohne den Wunsch nach Gegenleistung.

Bhakti ist der Yoga-Weg des Gefühls. Er reinigt die Gefühle, verwandelt positive in negative Gefühle und vermittelt dem Menschen das Gefühl einer Verbindung mit dem Weltganzen. Anschauungsmaterial für seine Bhakti findet der Bhakta in den Puranas, den großen Geschichten der indischen Götter. Hier saugt der Bhakta die Stimmung, den Geschmack – auf Sanskrit: den Rasa – auf, den er genießen darf. Die Geschichten der Puranas sind voller Rasa. Hier kommt oftmals eine erotische Komponente mit ins Spiel. Wenn sich etwa Krishna[1]in der Nacht mit seinen Freundinnen, den Gopis (wörtlich Kuhhirtinnen) trifft und mit ihnen tanzt, sind deren Körperteile sowie deren Begierde nach Krishna detailliert beschrieben. Die Gopis gelten als Vorbilder für perfekte Bhakti, da sie sich nach nichts sehnen als danach, Krishna zu lieben und ihm zu dienen. Gleichzeitig sind sie voller erotischer Begierde nach ihm. Die Begierde ist dem Bhakta ein Symbol seiner Liebe und seiner Hingabe. In dieser Stimmung meditiert er, während er auf der Japa-Mala, der Meditationskette die Mantras seiner Gottheit entweder laut, flüsternd oder im Geiste spricht, über den Namen seiner geliebten Gottes, dessen oder dessen Lila, das transzendentale Spiel, wie die Handlung in den Geschichten genannt wird.

Die Mala, die Meditationskette, ist ein großer Segen für den Praktizierenden des Bhakti. Sie ist eine große Hilfe, da sie der Übung einen Rahmen, einen Anker bietet, gewissermaßen etwas, an dem man sich festhalten kann. Sie dient gleichermaßen zur Vertiefung in das Mantra wie auch der Vergegenwärtigung der Form oder des Bhava, der liebenden Gemütsstimmung, die im Lila, im Spiel der Götter, entsteht. Auch ist sie eine große Hilfe zur Disziplinierung der spirituellen Übung. Wenn du dir etwa vornimmst, jeden Morgen auf der Mala für eine gewisse Zeit, nehmen wir an eine halbe oder eine ganze Stunde zu meditieren, dann wird dies nicht nur auf dein Gefühlsleben eine große Wirkung haben. Weil dein Tag mit glücksverheißenden Tätigkeiten beginnt, wird der ganze Tag eine anderer werden.

Durch die möglichst ununterbrochene Vergegenwärtigung der Form und der Spiele seiner geliebten Gottheit will der Bhakta einen Zustand herbeiführen, der in einem schönen Bild zum Ausdruck gebracht worden ist, in dem Bild des Feuers und der Eisenstange. So wie eine Eisenstange, wenn sie lange ins Feuer gehalten wird, die Eigenschaften des Feuers annimmt, so wird auch der Mensch, wenn sich ständig oder immer wieder in diese Bilder versenkt, die Eigenschaften des Bildes, bzw. dessen was er mit dem Bild verbindet, annehmen. Er wird selbst zu einem lodernden Feuer. Er wird zu einem Wesen, das im Innern brennt vor Kraft, vor Stärke, vor Liebe, vor Freude.

Je mehr wir lernen uns dieses Feuer zu vergegenwärtigen, umso fähiger werden wir, es auch außerhalb von Symbolen und Göttergeschichten wahrzunehmen. So kann uns jeder Baum, jede Pflanze, jedes Tier, ja jeder Stein an dieses Feuer erinnern. Allmählich wird somit die gesamte Schöpfung zu einem einzigen Symbol dieses Feuers und in jedem Moment ist auch ohne innere Vergegenwärtigung in uns dieses Feuer geweckt. Ein Blick, ein Schließen der Augen genügt und der innere Mensch beginnt zu flammen und zu brennen.

Ein wunderbares Beispiel für die Wirkung und die Kraft des Bhakti-Weges sowie auch für dessen Universalität findet sich in den anonymen Aufzeichnungen eines christlichen Gottsuchers aus dem Russland des 19, Jahrhunderts, die glücklicherweise gefunden und unter dem Titel „Aufrichtige[n] Erzählungen eines russischen Pilgers“[2]in deutscher Sprache herausgegeben wurde. Ein russischer Pilger reist mit der Frage durch das Land, was es mit dem Bibelzitat „Betet ohne Unterlass“ (1. Thess. 5,17) auf sich habe und wie ein Mensch diese Forderung jemals erfüllen könne. Auf seiner Reise trifft er nach vielen Stationen einen Mönch, der ihn das Jesus- oder Herzensgebet lehrt, ihm eine Gebetskette schenkt und ihn in die unablässige Rezitation desselben einweiht. So beginnt der Pilger, zunächst für einige Stunden am Tag auf seiner Kette dieses Gebet zu sprechen, das folgendermaßen lautet: Κύριε Ιησού Χριστέ, Υιέ του Θεού ελέησόν με. – Herr Jesus Christus, (du) Sohn Gottes, erbarme dich meiner.

Nach und nach steigert sich der Pilger in seiner Praxis, sodass er schließlich den ganzen Tag lang dieses Gebet spricht. Interessant sind hierbei die Beschreibungen seiner Gefühle, die der Pilger beim Sprechen des Gebetes erlebt:

Mitunter war es so, dass ich ein beseligendes Beben im Herzen fühlte, es war so voller Leichtigkeit, Freiheit und Trost, dass ich ganz wie verwandelt war und vor Wonne zu vergehen glaubte. Mitunter fühlte ich flammende Liebe zu Jesus Christus und zu der ganzen Schöpfung Gottes. Mitunter entströmten meinen Augen ganz von selbst süße Tränen des Dankes an Gott, der mir verruchtem Sünder solche Gnade widerfahren ließ. Mitunter lichtete sich mein sonst so törichtes Verstehen, so dass ich mit Leichtigkeit Dinge erfasste und überlegte, an die ich früher nie hätte denken können. Mitunter überströmte die süße Herzenswärme mich ganz und gar, und voller Rührung verspürte ich in mir die Allgegenwärtigkeit Gottes.[3]

Die höheren Stufen der Bhakti

Manch einer mag die konkrete, spielerische Darstellung Gottes naiv nennen, von der Annahme all dies sei real existierende Wirklichkeit, die für uns aufgrund unserer verunreinigten Sinne nur nicht wahrnehmbar sei, ganz zu schweigen. Dennoch liegt gerade in der Greifbarkeit, in der Nähe und der verletzlichen Kleinheit der Vorstellung von Gott der große unvergleichbare Reiz des Bhakti-Weges. Gott soll eben gerade anthropmorph dargestellt werden, um diese Nähe des Menschen zu Gott herzustellen. Er soll gerade nicht der Unerreichbare, der Alldrurchdringende, der Allmächtige sein, er soll für den Menschen erreichbar und zugänglich sein, ja ein Bhakta sagt, er will erreichbar und zugänglich sein. Er suche die Nähe zum Menschen ja selbst, er sehne sich doch selbst so sehr nach der Begegnung, nach dem spielerischen Austausch mit dem Menschen, nach des Menschen liebevoller Sehnsucht und Hingabe. Wie könne man ihn da als das Größte aller Größen, als die fernste Ferne, als das Absolute und Unbedingte darstellen (was er natürlich auf einer gewissen Ebene alles ist). Er wolle doch all das gar nicht sein. Er wolle doch in des Menschen Herz, er wolle doch den Zugang des Menschen zu ihm so leicht wie nur eben möglich gestalten. Der Mensch müsse doch gar nichts weiter tun, als sich ergeben, als seine Mauer des Egos einreißen, die ihn von sich trennt. Daher könne man ihn nicht anders darstellen denn als ein kleines hilfloses Kind, das nach der Brust seiner Mutter schreit, als einen sehnsüchtigen Liebhaber, der sich danach verzehrt, den Haarduft seiner Geliebten einzuatmen, als einen lieben, engen Freund, der mit seinen ebenbürtigen Freunden sein Essen teilt. All dies soll den Rasa herstellen, soll den Menschen in eine Stimmung versetzen, die eine Öffnung herbeiführt, die Blockaden einreißt, in der jegliche Ehrfurcht und vor allem jede Angst überwunden ist. Nur schwerlich könne man sich Gott ja als ein Wesen denken, das straft. Und wenn er auch in seiner Unbegreiflichkeit und Transzendenz existiert, dann sei dieser Aspekt Gottes der Allmacht und der Größe (Sanskrit Aishvarya) dem Aspekt der Süße und Lieblichkeit (Sanskrit Madhurya) weit untergeordnet. Nicht einmal Herr oder Vater würde ein Bhakta zu Krishna sagen. Er erstrebt eine direkte Beziehung zu ihm, in der er ihm entweder gleichgestellt, wie ein Freund oder Geliebter, oder gar übergeordnet ist, wie ein Vater seinem Sohn gegenüber. Als die die höchste Beziehung gilt allerdings die als Geliebter.

Sehnt sich ein Bhakta also nach der erotischen Vereinigung mit Gott? Zum Teil ja, zum Teil nein. In den tantrischen Shakti- und Shiva-Bhakti-Traditionen sicherlich, in der Krishna-Bhakti wird dies zum Teil als vermessen abgelehnt. Da Krishna, so wie er in den Puranas, den mittelalterlichen Göttergeschichten, beschrieben wird, als konkret existent angenommen wird, scheut sich ein Bhakta vor diesem Gedanken. Die Gopis, die Hirtenmädchen, die in den Erzählungen eine erotische Vereinigung mit Krishna wünschen, gelten einem Krishna-Bhakta als verehrungs- und anbetungswürdige Lehrerinnen. Der größte Wunsch ist es, ein direkter Diener der Gopis oder das Gopas (Hirtenjungen) zu werden. Da die Welt Krishnas und der Gopis als konkret real angesehen wird, erhofft man sich im Jenseits einen solchen Dienst. Da in der Welt Krishnas und der Gopis (neben seinen Verwandten) nur Gopis und Gopas existieren, muss die Identität des Bhaktas dort natürlich die einer Gopi oder eines Gopa sein. Der Bhakta strebt also an selbst eine Gopi oder ein Gopa zu werden und auf diese Weise behilflich sein zu können, wie Krishna mit seinen engsten Gopis das Spiel der Liebe genießt. Der eigene Genuss wird dem Genuss Krishnas untergeordnet. Der Genuss Krishnas ist das höchste Ziel, das einzige Motiv. Da man sich selbst als zu gering erachtet, wünscht man Krishnas Genuss der Liebe mit seinen reinsten Geweihten und dient ihm mit diesem Auftrag. Den Zugang zu einem solchen Dienst erlangt der Adept durch seinen Guru. Dieser gewährt ihm bei entsprechender ethischer und disziplinärer Qualifikation eine besondere Initiation, in dem er ihm seine „wahre“ Identität in der Welt Krishnas, d.h. seinen Namen, sein Aussehen inkl. Kleidung etc. sowie seinen speziellen Dienst, den er Krishna bzw. einer der Gopis oder Gopas gegenüber auszuführen hat, mitteilt. Der Schüler hat nun die Aufgabe, sich in seiner Meditation mit dieser Figur aus der Krishna-Welt zu identifizieren und in der besonderen „spirituellen Form“ den angegebenen Dienst auszuführen.

Für viele Menschen ist dieser Weg sehr geeignet. Jeder, den ihn beginnt, wird seine Vorteile erfahren. Eine Wirkung tritt, wenn man die Methoden aufrichtig und diszipliniert übt, vergleichsweise schnell ein und eine Verwandlung des Gefühlslebens ist deutlich spürbar. Es ist der Zustand des Yoga, der Verbundenheit, den der Mensch erlebt.

Das Problem der Religion

Allerdings birgt der Weg der Bhakti eine große Gefahr. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Bhakti zu praktizieren. In allen Religionen der Welt gilt diese Verbundenheit als das heiligste Gut, als die größte Errungenschaft, als der wertvollste Schatz. Ein Verlust dieser Verbundenheit ist in vielen Kulturen weitaus schlimmer als der Tod. Die Verbundenheit besteht hier nicht nur in einem Glauben, sie besteht in einem anfänglichen oder ansatzweisen Gefühl der eigenen Quelle. Allerdings glaubt man, dieses Gefühl der Verbundenheit mit der Quelle sei untrennbar an den eigenen Glauben bzw. das äußere System des Glaubens, der Gebote und Gesetze usw. geknüpft. Aufgrund dieser angenommenen Verknüpfung gelangt ein Gläubiger zu der irrtümlichen Ansicht, nur innerhalb seines Glaubenssystems, das er kennt, sei die Verbundenheit mit der Quelle möglich. So erklärt sich jedes Sendungsbewusstsein, jeder Missionsgeist, jeder Absolutheitsanspruch und jeder Fundamentalismus. Weil der gläubige Christ sein Gefühl der Verbundenheit als untrennbar mit der Heiligen Schrift, der Bibel, verbunden fühlt, misst er dieser eine letzte Grundlage zu, auf welcher die gesamte Welt beurteilt werden kann. Weil er sein Gefühl der Verbundenheit als absolut empfindet, dieses aber in Zusammenhang mit der Bibel steht, ist für ihn auch die Bibel absolut und unantastbar. Wenn die Bibel sagt Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; Niemand kommt zum Vater als durch michund man versteht diese Aussage wörtlich und setzt sie absolut, dann muss man schlussfolgern, dass jeder Mensch nur durch Jesus seine Quelle finden und seine Verbundenheit fühlen kann. Wenn man nur durch Jesus seine Quelle finden kann, dann müssen alle anderen Wege falsch sein und widerlegt werden, dann muss aber auch jeder Mensch davon wissen, dass er ohne Jesus auf dem Holzweg ist.

In allen Kulturen wird der Zustand der Verbundenheit symbolisch in Bilder gekleidet, die sich immer auf einen bestimmten kulturellen Kontext mit einem konkreten Gottesbild beschränken. Weil Krishna im Kontext der indischen Kultur steht, kleidet er sich so, wie man sich in Indien kleidet. Er trägt einen Dhoti, ein Baumwolltuch, das um die Hüften gebunden wird. Viele Krishna-Bhaktas gehen nun davon aus, dass Gott in seinem Reich in konkretum einen Dhoti trägt: ein absurder Irrtum, der vor allem dadurch vermieden wird, dass man neben dem Bhakti-Weg auch noch den Weg den Jnana-Yoga, den Weg des Denkens einschlägt. Ohne diesen trägt der Weg der Bhakti noch eine zweite Gefahr in sich: die der Sentimentalität, der Gefühlsduselei, ja sogar den des religiösen Wahnsinns, der von vielen Bhaktas allen Ernstes angestrebt wird. Religion ohne Philosophie (man könnte auch sagen Bhakti ohne Jnana) hat immer eine Tendenz zur Sentimentalität, während Philosophie ohne Religion (oder Jnana ohne Bhakti) immer eine Neigung zur Trockenheit, zur Geschmacklosigkeit hat.

Ken Wilber hat für die Gefahr des Bhakti-Yogis, der auf den Weg des Jnana, des Denkens verzichtet, treffend in dem Begriff der „Prä-und-Trans-Verwechslung“ beschrieben. Der Bhakta läuft stets Gefahr, seine spirituelle Praxis für transrational und somit allgemeingültig zu halten, obwohl seine Bilder, Regeln, Glaubenwahrheiten und Rituale einem einzigen kulturellen Kontext entstammen und somit niemals den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erfüllen können. Seine spirituelle Praxis, sein Glauben und seine Rituale müssen also prärational genannt werden. Sie entstammen einem gewissermaßen naiven Realismus, der gemeinhin in einer Unkenntnis anderer Traditionen, Religionen und Philosophien begründet ist. Dass eine spirituelle Praxis transrational sein kann, dafür ist der Weg des Jnana-Yoga notwendig, der ein möglichst universales spirituelles und wissenschaftliches Studium vorsieht.

[1]Da ich selbst ausschließlich mit der Praxis der Krishna-Bhakti aus der bengalischen Gaudiya-Vaishnava-Tradition vertraut bin, beschränke ich mich auf eine Darstellung dieser Schule.

[2]Hg. v. Emmanuel Jungclaussen, Herder-VerlagFreiburg 2001.

[3]Ebd. S. 59.